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Nahe Menschen


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Rolf Schaelike - Zeitzeuge

Selbstsgespraech eines Schwindlers

Ich muss Dir sagen:
"Die
Magersucht hat auch etwas Gutes und Schoenes"
von Rolf Schaelike - Juli 2004

"Mein lieber Partner und Freund," offenbarte mir listig Klaus-Christian, "als kleiner Bruder wurde ich von meinen Geschwistern nie ernst genommen. Sie liebten mich wohl, und mit all meinen Streichen und  Ausreden hatten sie schon als Kinder keine Probleme. Meine sich haeufenden kleinen Schwindeleien und Gemeinheiten ..., hm ..., habe ich denen gut verkauft - wuerde ich heute sagen. Sie wurden immun, weil sie mich liebten. Heilige waren sie ausserdem auch nicht gerade."

"Und Dein Vater, ueberliess er die Erziehung Deinen Geschwistern?" mit den Gaunereien von Klaus-Christian schon praktisch vertraut, warf ich neugierig ein. Denn den Vater, den ich gut kannte, konnte ich nicht einschaetzen.

"Oh, nein. Er war streng aber eben gewieft. Unsere Familie war froehlich und lebhaft. Meckerten oder petzten meine Geschwister, dann belehrte mein Vater die beiden Brueder zum hundertsten mal ´Kinder luegen und klauen nicht´ Gerhard und Manfred mussten begreifen, Lotte, die aelteste, stand so und so ueber dem allen. Sie mischte sich nie ein."

"Du hast also Tricksen und Schwindeln von Kind an gelernt und was sind nun so Deine Lebensmaxima als Versicherungsfritze?" fragte ich, die Offenheit von Klaus-Christian nutzend, diesen mir immer fremder werdenden Menschen.

"Geben ist besser denn Nehmen. Verzicht macht mich zu einem wertvollen Menschen," kam es wie aus einer Pistole geschossen. Diese seine offensichtliche Luege erlaeutere er mir sehr kompliziert, verhedderte sich, blieb aber bei seiner einfachen Weisheit. Auf mein verdutztes Schweigen sprach er in mein bloedes Gesicht, "Weisst Du, das gilt natuerlich nur fuer uns in der Familie. Du gehoerst auch dazu." Wir sind naemlich verwandt.

Mir entpuppten sich zwei  Menschen, ein diebischer Luegner und ein durchrissener gebender Asket.

Von den von mir spendierten Bordeaux-Weinen hatten wir schon eine Flasche geleert. Klaus-Christian trank das meiste und verschlang dazu gierig den Kaese und die harte Wurst.

"Mir gelang es, diesen Grundsatz, obwohl ich zugegebener Weise so gerne und wo ich nur kann stibitze - egal, ob das ein Bleistift, ein Kugelschreiber oder gar ein Garten-Keramikofen unseres Bueronachbarn, zum Familiencredo zu erheben und meine Lieben damit an mich zu binden," laechelte mich Klaus-Christian ernst und bestimmend an.

Nach der zweiten Flasche und nachdem es keinen Kaese und keine Wurst mehr auf dem Tisch in der Kueche gab, offenbarte sich mein Partner noch offener: "Meine Frau ist reich, doch mir hat es der Gott nicht vergoennt, reich zu werden. Meine Frau ist sexy, ich mache es am liebsten gleich in der Kueche. Ich bin leider klein und haesslich und fand den  Ausweg: ´Alle meine Familienmitglieder sind gleichgestellt. Unterschiede existieren praktisch nicht und duerfen auch nicht angesprochen werden´. Kannst Du das verstehen?". Ich konnte es nicht verstehen. Ich nahm es einfach hin.

Dann gestand er lachend: "Meiner Frau und die beiden Toechterchen haben natuerlich so manchmal Autonomie und  Abstand gewollt. Das habe ich im Keime erstickt. Es war nicht leicht. Ich musste ueberall dabei sein, zu allem etwas sagen, mich in alles einmischen, langweilige Sachen mitmachen. Kinderspiele und -albernheiten ernst nehmen. Die Toechter fuhr ich in die Schule und zum Arzt. Deren Freundinnen musste ich kennen lernen und jede Abnabelung der Maedchen von mir und meiner Frau habe ich denen eigentlich unmoeglich gemacht. Ihre Erfahrungen sollten meine Kinder in meiner Familie machen. Als die Maedchen klein waren, ist mir das bestens gelungen."

Ich fragte nach Details. Haette die Frage lieber unterdruecken sollen. Mir offenbarte sich eine fremde Welt. Nur noch Liebe und Fuersorge.

Dann der Sprung. Die dritte Flasche des halbtrockenen Bordeaux wurde geoeffnet. "Oh, dann kam die Pubertaet meiner aelteren. Gleichaltrige Maedels und Jungen wurden wichtiger als ich und meine Familie. Es kam zu haeufigeren Konflikten, die ich zu zerreden verstand. Da war ich Profi. Das Versicherungsgeschaeft florierte. Die Schulungen hatten auch persoenliche Bedeutung. Ich strebte zur Harmonie. Dass diese nur scheinbar war, ahnte ich, aber was sollte ich machen. Jeglichem Streit ging ich aus dem Wege. Die Familienverbindungen wurden immer sensibler. Mein Problem waren deren Grosseltern. Ich durfte meine Maedels mit Opa und Oma nie allein lassen. Beziehungen zur Aussenwelt verhinderte ich wo ich konnte."

"Weisst Du was, Partner, Gefuehle sollten beherrscht, besonders feindselige und boese Gefuehle sollten gaenzlich unterdrueckt werden. Dies gilt auch fuer das Essen. Wir trinken und essen jetzt zwar ausgiebig, das kann nicht die Regel sein. Ich moechte meinen Geiz ausleben." Da begriff ich, warum er so oft um Zigaretten bittet, ohne diese jemals zurueck zu geben. Meine Tochter machte mich darauf aufmerksam. Ich haette es uebersehen.

Ich wusste, die Familie sparte am Essen. Wurden wir eingeladen, dann erhielten wir Kuchenkanten und den Kuchenbruch. Auch alles andere war vom Billigsten. Gierige Augen passten auf, dass nicht alles aufgegessen wurde. Die Essenszeit mit den Gaesten war kurz bemessen. Das meiste wurde wieder in die Kueche getragen. Ich wusste, feste Regeln und fixe Zeiten fuer die Essensgewohnheiten waren dieser Familie heilig.

Das Wort "Lust" war in den Gespraechen mit den Gaesten tabu, obwohl mein Partner mir offenbarte, dass er immer Lust zum Sex verspuere, gern mit dem Auto rase, segle und grosse Freude durch die Anerkennung von anderen geniesse.

Er schaemte sich staendig und fuehlte sich immer schuldig. Mir sagte Klaus-Christian: "Scham- und Schuldgefuehle praegten unser Zusammenleben als Familie und als Individuum. Neid, Eifersucht, Zorn und Wut durfte sich nur ich leisten. Die Frauen durften diese Gefuehle nicht haben."

Komisch war der Widerspruch, wie ich ihn in der Firma und zu Hause erlebte. In der Firma grosskotzig und sicher, zu Hause der liebe, bescheidene aufmerksame Papa. Vor dem Besuch erhielt ich Verhaltenshinweise. "Erzaehle meiner Frau nicht, dass ich gestern erst um zwoelf in die Firma kam," war einer davon.

Das Gerede der Nachbarn und Kollegen empfand Klaus-Christian als abscheulich und unertraeglich. Ein lang gezogenes "aeh" aus dem Ekel ausdrueckendem Gesicht was das Einzige, was er fuer seine Umgebung uebrig hatte.. Es gab fuer ihn einen Ausweg. Die Normen der Nachbarn und Kollegen mussten Gesetz werden. Daran ist Klaus-Christian wohl zerbrochen, denn er konnte Gut und Boese nicht mehr unterscheiden. Askese, Sparsamkeit, Verzicht und Unauffaelligkeit war ihm noch zugaenglich und wurde in seine Familie uebernommen. Formales Pflichtbewusstsein wurde zum Ziel.

Mir erklaerte er stolz: "Man sieht in uns tuechtige und strebsame Menschen und ich werde geachtet. Meine Toechter fielen in der Schule immer durch gute Leistungen im Unterricht  - auch im Sport - auf. Sie waren und sind leistungsorientiert, unauffaellig und sozial engagiert," und verkuendete stolz weiter, "die Toechter haben wir gleich behandelt, auch wenn es die Maedels anders sahen."

Lachend mit uebergang zum Lallen hoerte ich dann den stolzen Vater: "Das Abnabeln vom Elternhaus habe ich verhindert und werde es immer zu verhindern wissen. Trennung von der Familie waere doch der Tod fuer meine Toechter. Ich musste mich von Jahr zu Jahr immer mehr um meine Toechter kuemmern."

Seine Ehe ist eine stabile Vernunftehe. Natuerlich gibt es einem Ehevertrag. Seine Frau ist ihm treu. Die Sexualitaet spielt in seiner Ehe, eine untergeordnete Rolle, gestand er mir seinerzeit nuechtern, obwohl er nur an Sex denke.

Enkel, Opa, Vater,  
 Schwiegersohn, 
Tochter (v.l.n.r)  
 (Bleistift von Peter Graf)  

Nach der dritten Flasche lallte er: "Als meine aeltere Tochter  herrliche weibliche Rundungen bekam, wurde es fuer mich schwieriger, ueber Sex zu Hause nicht zu reden. Ich verliebte mich buchstaeblich in meine zur Frau werdende Tochter. Du weisst schon, was ich damit meine."

Ich wusste, dass die aeltere den Zudraenglichkeiten durch Abmagerung aus dem Weg ging. Das "Frau werden" unterdrueckte sie mit Hungern. Der lebensbedrohlichen Abmagerung wurde noch mehr Zuwendung entgegen gebracht. Das Jugendamt schaltete sich ein.

Als das alles nicht mehr ging, wurde sie in der Abiturklasse schwanger und verschwand aus dem Elternhaus.

Ich hoerte dann meinen lallenden Partner: "Meinen Enkel liebe ich abgoettisch. Habe nur grosse Befuerchtungen, dass er nicht alt wird, denn sein Onkel und Grossvater haben sich das Leben genommen. Beide waren zu sensibel."

Dann fuhr er mit dem Wagen nach Hause. Zu Trinken und Essen hatten wir ohnehin nichts mehr. Die Flaschen und der Kuehlschrank waren leer.

Eins hatte die Magersucht seiner Tochter Gutes. Die latenten Spannungen und Probleme in seiner Familie wurden durch die neue Aufgaben und gemeinsame Sorge ersetzt. Das Leid um seine Tochter lenkte von anderen Schwierigkeiten ab.
So sehen es zumindest die aerzte.

Sein Bruder erzaehlte mir spaeter, Klaus-Christian meine, dass seine Tochter Schuldgefuehle besaesse und hilft ihn in den Auseinandersetzungen mit mir, seinen frueheren Partner. Ausserhalb seiner Familie kann sie nicht mehr leben.

Jetzt studiert sie Jura und hilft ihm bei den Rechtsstreits mit mir. Ihr Mann kann mich nicht ausstehen und hat fuer Klaus-Christian jetzt den Internet-Auftritt kreiert.

"Ich muss dir sagen, die Magersucht hat auch etwas Gutes und Schoenes" - diese boese gestammelten Worte aus dem mir verschmitz zugewandten betrunkenen Mund verschmutzen bis heute mein Hirn.

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Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 12.07.04
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